Stammt die Geschlechterungleichheit laut Friedrich Engels aus der Steinzeit?

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Liebe Forscher:in, Wie hat nach Friedrich Engels in "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" die Ungleichheit zwischen Frau und Mann in der Steinzeit begonnen? Wie nutzt er diese Ungleichheit als Argument für einen sozialistischen Staat? Danke!

Liebe Leni

Es ist sehr lange her, seit ich den Text von Engels einmal gelesen habe – bzw. den Abschnitt über die Familie darin. Wahrscheinlich war das im Zusammenhang mit einer Vorlesung der Gender Studies an der Universität Basel.

Engels, so würde ich sagen, setzt sich darin nicht unbedingt mit der Steinzeit auseinander, aber mit verschiedenen Theorien und Thesen zu Beziehungsformen zwischen Mann und Frau, wie sie auf verschiedenen Kontinenten und zu verschiedenen Zeiten – der Vermutung nach – praktiziert wurden. Der Text ist vielschichtig und verzweigt, aber ich versuche es mit einer ganz groben Zusammenfassung seiner These:

Eigentum und Geschlechterverhältnis

Engels kommt im Abschnitt "Familie" zum Schluss, dass die Beziehung zwischen Mann und Frau seit dem Moment durch eine (auch gewaltsame) Vorherrschaft des Mannes geprägt war, als Gesellschaften begonnen haben, sich auf Kapitalakkumulation zu konzentrieren. Also ab dem Zeitpunkt, an dem Menschen damit anfingen, Güter zu horten.

Der Mann beanspruchte von da an, seine gehäuften Güter an seine Nachkommen weiterzugeben, und verlangte dafür Treue von der Frau, um sicherzugehen, dass es auch wirklich „seine“ Nachkommen waren. Die Frau wiederum begab sich in eine ökonomische Abhängigkeit zum Mann. Und obwohl sich Gesellschaften im Lauf der Epochen verändert haben, ist der Zusammenhang zwischen Eigentumsverhältnissen und Geschlechterbeziehungen laut Engels im Kern derselbe geblieben.

Engels’ Vision der „neuen Geschlechter“

Und was heisst das nun für eine sozialistische Gesellschaft?

Das Ziel dieser Gesellschaftsform bestand darin, die Ausbeutung von Menschen dadurch zu beenden, dass Produktionsmittel verstaatlicht werden. Besitzverhältnisse würden dann bei Beziehungen zwischen Menschen keine übergeordnete Rolle mehr spielen. Das, so Engels, würde insbesondere die Beziehung zwischen Frau und Mann grundlegend verändern. Wenn ökonomische Motive bei der „Gattenwahl“ keine Rolle mehr spielen würden, dann – so Engels – „bleibt eben kein andres Motiv mehr als die gegenseitige Zuneigung“.

Was genau das bedeuten wird, wie sich der „neue Mensch“, das „neue Geschlecht“ unter diesen neuen Umständen verhalten wird, können wir jetzt noch gar nicht wissen, so Engels:

„Was aber wird hinzukommen? Das wird sich entscheiden, wenn ein neues Geschlecht herangewachsen sein wird: ein Geschlecht von Männern, die nie in ihrem Leben in den Fall gekommen sind, für Geld oder andre soziale Machtmittel die Preisgebung einer Frau zu erkaufen, und von Frauen, die nie in den Fall gekommen sind, weder aus irgendwelchen andern Rücksichten als wirklicher Liebe sich einem Mann hinzugeben, noch dem Geliebten die Hingabe zu verweigern aus Furcht vor den ökonomischen Folgen. Wenn diese Leute da sind, werden sie sich den Teufel darum scheren, was man heute glaubt, dass sie tun sollen; sie werden sich ihre eigne Praxis und ihre danach abgemessene öffentliche Meinung über die Praxis jedes Einzelnen selbst machen – Punktum.“

Diese Aussicht auf eine neue Form der Geschlechterbeziehung ist für Engels eines unter verschiedenen Argumenten, das für eine sozialistische Gesellschaftsform spricht.

Beantwortet das deine Frage? Hast du den Text selbst gelesen? Findest du Engels’ Argumentation überzeugend?

Mit herzlichen Grüssen

Lina

Erwähnte Literatur:

Engels, Friedrich. 1884. Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats. Im Anschluss an Lewis H. Morgan’s Forschungen. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe. 1990. I. Abteilung, Band 29. Berlin.  

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