Vielen Dank für diese tolle Möglichkeit. Wie kann ich einen selektiv mutistischen Schüler im Klassenraum unterstützen? Vielen Dank im Voraus.

Vielen Dank für deine Frage und dein Engagement für deinen Schüler, das ich aus der Frage herauslese! Gerne versuche ich hier ein paar Impulse zu geben.

Selektiver Mutismus ist eine Angststörung

Zunächst zur Verortung des Themas: Selektiver Mutismus ist keine Sprachentwicklungsstörung, sondern eine Angststörung. Mutistische Kinder und Jugendliche sind trotz altersentsprechender Sprachbeherrschung in bestimmten Situationen (z.B. in der Schule) nicht in der Lage, zu sprechen. Boris Hartmann sagt dazu: „Nicht der Betroffene bestimmt darüber, ob er redet, sondern die Situation selbst diktiert es.“ (Hartmann 2005, S. 13)

Sicherheit und Vertrauen

Das Wichtigste ist: Druck oder „Zwingen“ zum Sprechen hilft nicht, sondern verstärkt meist die Angst. Stattdessen geht es darum, dem Kind Sicherheit und Vertrauen zu geben und alternative Wege der Kommunikation zu ermöglichen.

Konkrete Ansätze

Hier einige konkrete Ansätze, die sich in der Praxis bewährt haben:

  • Akzeptiere das Schweigen: Zeige dem Kind, dass es auch ohne Sprechen Teil der Gemeinschaft ist. Sprich es freundlich an, aber stelle keine Fragen, die es unter Druck setzen könnten.
  • Kommunikationsalternativen anbieten: Ermutige das Kind, sich schriftlich, mit Gesten, Bildern oder Zeichnungen zu äussern. Auch digitale Tools (z.B. Tablets) können helfen. Setze nonverbale Aktivitäten auch für die gesamte Klasse ein (Symbolzeichen, Gesten, Karten). Oft sind auch andere Kinder und Jugendliche zwischendurch für diese Alternativen dankbar.
  • Peer-Interaktionen und Kleingruppensituationen fördern: Das Kind kann sich in kleineren, vertrauten Gruppen oft sicherer fühlen. Fördere Partnerarbeiten oder kleine Gruppenaktivitäten mit Kindern, zu denen bereits Vertrauen besteht.
  • Verlässliche Strukturen schaffen: Feste Rituale und klare Abläufe geben Sicherheit. Ein fester Sitzplatz, kleine Aufgaben oder feste Bezugspersonen können helfen.
  • Kleine, positive Schritte anerkennen: Jede Form von Kontakt oder nonverbaler Beteiligung ist ein Fortschritt. Lobe diese kleinen Schritte, ohne sie zu sehr hervorzuheben.
  • Zusammenarbeit suchen: Tausche dich mit Schulsozialarbeiter:innen, schulischen Heilpädagog:innen, Logopäd:innen und den Eltern aus. Sie kennen das Kind am besten und können wertvolle Hinweise geben.
  • Geduld zeigen: Veränderungen brauchen Zeit. Es ist normal, dass Fortschritte langsam und manchmal auch in Wellen verlaufen.

Vermeide Strategien, die das Schweigen fördern

Wichtig ist ausserdem zu wissen, dass Mutismus zu den überwindbaren Störungsbildern gehört. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Problem sich von selbst löst. Schulstrategien, die eher das Schweigen als das Sprechen fördern (Aussetzen der mündlichen Benotung durch einen Nachteilsausgleich, Einsatz einer Unterrichtsassistenz, Gewährenlassen des Kindes/der Familie beim Wunsch nach Sonderstellungen), sollten daher vermieden werden (Hartmann, 2020, S. 24).

Für eine vertiefte Betrachtung wäre ausserdem wichtig zu berücksichtigen, ob der Schüler ein- oder mehrsprachig aufwächst.

Ich hoffe, dass ich dir durch diese Impulse ein paar Anregungen mitgeben kann.

Herzliche Grüsse

Nina Gregori

Weiterführende Hinweise:

Agatha Wehrli, 2023, FHNW, Selektiver Mutismus im Kindergarten, link

Sehr praxisnah und informativ: Hartmann, Boris (2020). „Mutismus und Schule – Grundlagen, Empfehlungen und Strategien für den Umgang mit schweigenden Schülern“. Mutismus.de – Fachzeitschrift für Mutismus-Therapie, Mutismus-Forschung und Selbsthilfe 12, Nr. 22, S. 5–28.

Zum Einstieg ins Thema Mehrsprachigkeit: Mayer, Andreas, und Tanja Ulrich (2023). Sprachtherapie mit Kindern. 2. Aufl. Utb GmbH, S. 474

Liebe Nina, herzlichen Dank für diese Impulse, die ich sehr gut umsetzen kann und werde. Herzliche Grüsse, Silke Löere

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Herzlichen Dank für die genaue und informative Antwort.

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