Liebe Forscher/innen
Mich beschäftigt der Wohlstand in der Schweiz im Zusammenhang mit dem Klimaschutz. Wieso ist die Schweiz so reich und wieso beteiligt sie sich so wenig am Klimaschutz? Mir ist bewusst, dass wir uns beteiligen, aber wir könnten und müssten viel mehr tun. Auf wessen Kosten verschliessen wir weiterhin die Augen?
Vielen Dank für Eure Erklärungen.
Liebe Grüsse Lisa
Liebe Lisa
Danke für diese wichtige Frage. Es ist offensichtlich: Die materiellen und immateriellen Kosten des Klimawandels werden mit hoher Wahrscheinlichkeit die kommenden Generationen tragen.
Lass mich deine Frage mit einigen Überlegungen beantworten:
Über Jahrzehnte hinweg wurde der Klimawandel systematisch in Zweifel gezogen. Naomi Oreskes hat sinngemäss festgestellt, dass das Leugnen, Verharmlosen und Diffamieren wissenschaftlicher Erkenntnisse entscheidend dazu beigetragen hat, globale Klimaschutzmassnahmen zu verzögern. Heute wird der Klimawandel zwar kaum noch offen bestritten, doch subtile Formen der Skepsis und Verweigerung beeinflussen weiterhin unser individuelles und politisches Handeln (siehe dazu das gut lesbare Buch von Oreskes und Conway, Merchants of Doubt, 2010).
Zudem dominieren wirtschaftliche Interessen – sowohl auf Ebene der Privatwirtschaft als auch beim Individuum. Die Schweiz profitiert massiv von Branchen wie Finanzwesen, Maschinenbau, Pharmaindustrie und internationalem Handel, die von energieintensiven Prozessen abhängen. Die Sorge, strikter Klimaschutz könne kurzfristige wirtschaftliche Nachteile bringen, hemmt konsequente Massnahmen. Langfristiges Denken fällt dabei nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Politik schwer (s. dazu etwa das Interview mit dem Klimawissenschaftler Reto Knutti: https://greencircle.ch/de/natur/klima-experte-reto-knutti-wir-sind-ein-volk-von-nein-sagern).
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der weit verbreitete Glaube an technische Lösungen. Viele vertrauen darauf, Innovationen könnten den notwendigen Wandel ersetzen und verzichten lieber auf tiefgreifende Veränderungen. Diese Hoffnung auf technologische Heilsversprechen verzögert wirksame politische Entscheidungen.
Oft wird zudem argumentiert, die Schweiz verursache nur 0,1% der globalen CO₂-Emissionen und ihr Einfluss sei daher begrenzt. Dieses Argument schwächt den politischen Druck für ambitionierte Klimaziele erheblich.
Solche Haltungen spiegeln sich auch in der Bevölkerung wider: Die Abstimmung über das CO₂-Gesetz 2021 hat gezeigt, dass Viele nicht bereit sind, persönliche Einschränkungen zu akzeptieren. Gerade in einem Land mit hohem Lebensstandard erscheinen tiefgreifende Veränderungen bedrohlich, obwohl sie auch neue Chancen eröffnen könnten – ein Aspekt, der leider zu wenig diskutiert wird.
Mein zentrales Anliegen wäre deshalb: Der Ausstieg aus der fossilen Wohlstandskultur erfordert, die Moderne grundlegend neu zu denken. Statt nur über technische Alternativen wie E-Bikes, Lenkungsabgaben oder Biotreibstoffe zu streiten, sollten wir neue Energiezukunftsmodelle entwerfen – mit veränderten materiellen Bedingungen, sozialen Strukturen und immateriellen Grundlagen. Dieser Wandel muss nicht als Verlust, sondern kann als Erweiterung unserer Denk- und Handlungsspielräume verstanden werden (dazu empfehle ich: «After Oil Taschenbuch» der Petrocultures Research Group von 2016).
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In diesem Sinn ist deine Frage hoffentlich ein Impuls, über rein finanzielle Lösungen hinauszudenken.
Ich wünsche dir viele fruchtbare Diskussionen.
Monika Gisler
Literatur:
Oreskes, Naomi and Conaway, Erik M. 2010. Merchants of Doubt. How a Handful of Scientists Obscured the Trutz on Issues from Tobacco Smoke to Global Warming.
Knutti, Reto 2025. "Wir sind ein Volk von Nein-Sagern". Greencircle. online
Imre Szeman, Petrocultures Research Group. 2016. After Oil.
Partnerschaften
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